In Krisenzeiten kommt es auf die Marke an – Was sich aus der Causa Benko lernen lässt

 

Von Bastian Schneider

Mit Julius Bär steht schon wieder eine Schweizer Privatbank in der Presse. Wieder nicht mit guten Nachrichten. Wieder läuft die Empörungsspirale auf Hochtouren und trennen sich die Kleinanleger nervös von ihren Aktien. Die erschütternden Eindrücke des Untergangs der Credit Suisse noch in den Knochen fragen sich viele: Geht jetzt das nächste Schweizer Traditionshaus unter?

 

Die Grundstimmung prägt unsere Sicht

Finanzkrise, Migrationskrise, Corona-Krise, Ukraine-Krieg. Credit Suisse. Geprägt durch die einschneidenden Ereignisse der letzten Jahre sind die unvorstellbaren Dinge ziemlich vorstellbar geworden. Nicht wenigen von uns erscheinen die Dramen aktuell sogar wahrscheinlicher als die normalen Entwicklungen; so düster ist die Grundstimmung. Die Perspektive, aus der heraus wir die Welt betrachten, hat sich eine gehörige Spur ins Negative verschoben – und damit auch unsere Erwartungen, aus denen heraus wir Ereignisse und Marken beurteilen.

 

Die vermeintlich harten Fakten

Aber im Falle der Schweizer Privatbank Julius Bär: Hat die heftige Reaktion noch etwas mit den Fakten zu tun? Ist sie gerechtfertigt? Ich finde, hier darf man optimistisch skeptisch sein. Zumindest, was die vermeintlich „harten Fakten“ betrifft: Aus heutiger, finanzieller Sicht wird die Marke Julius Bär die Causa Benko ohne dauerhafte Schäden überstehen. Der potenzielle Ausfall der Benko-Kredite beläuft sich auf eine Höhe von 606 Millionen CHF. Ein Totalausfall ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Und angesichts eines Kreditbuchs von insgesamt 41 Milliarden CHF finanziell für die Bank auf jeden Fall verkraftbar – wenn jetzt nicht noch weitere faule Deals ans Licht kommen.

 

Die vermeintlich weichen Fakten

Aber wie ist die Lage bei den vermeintlich „weichen Fakten“? Wie steht es um das Vertrauen, das die Grundvoraussetzung für eine Geschäftsbeziehung mit einer Bank ist? Die Kunden von Julius Bär sind irritiert und verunsichert. Aber werden sie in Scharen ihr Geld abziehen und das Bankhaus in den Abgrund stürzen? Nun wird sich zeigen, wie solide Julius Bär die letzten Jahrzehnte das Markenvertrauen bei den Kunden aufgebaut hat, und wie eng die Beziehung wirklich ist. Immerhin positioniert sich die Bank als „Your Wealth Manager“ und weist auf die persönliche Verbundenheit hin. Es gibt erste Anzeichen, dass die Marke vital genug ist, um das Vertrauen zurückzugewinnen. Die proaktive und transparent wirkende Unternehmenskommunikation ist vielversprechend.

Entscheidend wird aber die Unternehmenskultur sein. Denn wenn die Werte, für die das Unternehmen steht, von der Führung und den Mitarbeitenden gelebt werden, dann müsste derzeit ein engagierter Ruck durch die ganze Bank gehen – und dies sollte in einer Fülle von glaubhaften, vertrauenstärkenden Kundeninteraktionen zu erleben sein.

Wer trägt die Verantwortung?

Der Österreicher René Benko hat die Schweizer Marke Julius Bär viel Geld und viel Reputation gekostet. Wieviel Schuld trägt daran die Bank? Kreditrisiken einzugehen ist ihr Geschäftsmodell. Ohne Risiko keine Rendite. Und das gilt nicht nur für Banken, sondern für jedes Unternehmen in jeder Branche.

Aber war das Julius Bär Management in diesem Fall vielleicht zu gierig? Oder zu naiv, sich sehenden Auges in Abhängigkeit von einem Kunden zu begeben? Hat es bei der Kreditentscheidung zu einseitig die finanziellen Risiken berücksichtig und die Reputationsrisiken nicht ernst genug genommen?

Auch wenn wir darüber von aussen nur mutmassen können, das würde mich sehr interessieren – gerade wegen des in den Management-Etagen immer noch weit verbreiteten Missverständnisses zwischen den weichen und den harten Fakten, könnten wir hieraus vielleicht eine Menge lernen.

 

Konsequenzen für die Markenführung

Aus Markensicht ist der Fall Julius Bär aber auf jeden Fall ein guter Anlass, um uns die unerbittliche Härte der weichen Fakten eindrücklich vor Augen zu führen.

Und auch, um uns bewusst zu machen, wie sehr sich der Kontext verändert hat, in dem wir unsere Marken heute führen müssen. Es hilft nichts, sich eine schöne und heile Welt zu wünschen. Die Welt ist so, wie sie heute ist. Geprägt von Heftigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeiten. Und Unternehmen müssen sich im Rahmen ihrer Markenführung darauf einstellen. Je unsicherer das Umfeld ist, je irrationaler und hektischer es reagiert, je höher die digital verstärkte Amplitude des emotionalen Ausschlags auf Einzelereignisse, desto ruhiger, bewusster, fokussierter, ganzheitlicher und perfekter müssen wir in unserer Markenführung werden.

Die gute Nachricht: In unseren Unternehmen stehen uns alle Zutaten zur Verfügung, die wir dazu brauchen und auch managen können: Unsere Spitzenleistungen. Primär mit dem Ziel, erst gar nicht in einen Reputationssturm zu geraten. Aber können wir ihn als risikobereite Unternehmer komplett ausschliessen? Ich denke nicht. Also auch vorausschauend für den Fall, dass er uns irgendwann einmal erwischt – dann sollten wir gerüstet sein und über die inneren und äusseren Kräfte verfügen, um ihn erfolgreich abwettern zu können.

Deshalb für alle Zahlenmenschen und Markenbudgetkürzer, hier noch einmal in aller Deutlichkeit: Ein durch Spitzenleistung über Jahre voll aufgeladener Markenakku – randgefüllt mit ehrlich verdientem Kunden-Vertrauen und tief empfundenem Mitarbeiter-Commitment – ist die beste Investitionsentscheidung in die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens, die sie im Laufe ihrer Karriere treffen können.

Dieser aktualisierte Beitrag ist am 4.12.2023 zuerst hier erschienen: https://www.horizont.net/schweiz/nachrichten/gastbeitrag-warum-julius-baer-den-benko-stresstest-ueberstehen-wird-216442