In der Krise zeigt sich der Charakter einer Marke in jeder ihrer Entscheidungen

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Von Bastian Schneider

Krisenzeiten sind für Marken «Tiebreak»-Zeiten. Also Zeiten, in denen alles schneller und direkter geht – und die Auswirkungen schon kleiner Entscheidungen gross sein können.

Es wird wieder genauer hingesehen

Denn nie ist die Wachsamkeit der Kunden höher als jetzt. Nie ist ihr Sinn für «richtig» oder «falsch» feiner. Nie ihre Reaktion unmittelbarer und heftiger. Nie können Marken schneller Punkte machen und schneller Punkte verlieren, als in Zeiten der Krise.

Die Marke adidas hat uns das mit ihrem fehlgeleiteten Vorstoss zur Stundung von Mietzahlungen – und der geschlossen negativen Reaktion der Öffentlichkeit darauf – im April vor Augen geführt. Von einem globalen Konzern mit finanziellem Rekordergebnis im letzten Jahr und allgemein attestierten Teamplayer-Werten in der DNA hat man da viel mehr erwartet. Die rasche Zurücknahme der Entscheidung sowie die öffentliche Entschuldigung des Managements lassen vermuten, dass dieser «Markenblackout» wohl auch eingesehen wurde – aber der Schaden für die Marke ist jetzt dennoch erstmal da.

Krisenzeiten reissen den Weichzeichner weg, der Marken in normalen Zeiten vor den eigenen Fehlern schützt.

Krisenzeiten reissen gnadenlos den Weichzeichner weg, der Marken in normalen Zeiten zu einem gewissen Grad vor den eigenen Fehlern schützt. Also Zeiten, in denen Menschen im vollen und hektischen Alltag oft ja nicht ganz so genau hinschauen. Manche auch ein wenig «schlafwandlerisch» ihrem Konsum nachgehen. Und viele Menschen ihren Marken – die sie lieben – gutmütig die ein oder andere kleinere «off brand» Aktion durchgehen lassen.

Nicht so in Krisenzeiten! In denen wir alle – zumindest gefühlt – ein Stückweit in den existenziellen Überlebensmodus wechseln und unsere Umwelt um uns herum mit weniger guten Nerven deutlich wacher, kritischer und schärfer beobachten. 

Die Markenführung sollte einen Gang hoch schalten

Diesem Umstand sollte die Markenführung jetzt auch Rechnung tragen. Sie sollte den gestiegenen Anforderungen im Marktumfeld gerecht werden und deutlich bewusster und schärfer entscheiden und handeln. Indem sie sich sehr deutlich macht:

  • Wofür die eigene Marke eigentlich wirklich steht (und wofür nicht)

  • Was konkret und im Detail ihre Beziehungen zur bereitwillig zahlenden Kundschaft besonders prägt (und was nicht)

  • Welche Massnahmen und Aktivitäten im aktuellen Marktumfeld eigentlich noch einen positiven ROI erzielen können (und welche nicht)

Und indem sie auf dieser Grundlage täglich erfolgreich die Transferleistung erbringt und all die vielen Einzelfall-Entscheidungen präzise und effizient im Sinne der Marke trifft: Zahlen wir noch die Mieten für unsere Ladenlokale? Erstatten wir unseren Kunden ihre bezahlten aber nicht genutzten Flugtickets in Bar oder in Form von Gutscheinen? Öffnen wir uns jetzt aus der Not heraus neuen – weniger werthaltigen – Absatzkanälen oder halten wir unsere Wertposition weiterhin aufrecht? Springen wir in PR und Werbung auf den Trend mit auf und gestalten die Elemente unseres Logos auf distanzierte Art und Weise? Starten auch wir jetzt eine Kampagne mit vermeintlichen Sonderhilfsangeboten zu vermeintlichen Sonderpreisen?

Und wenn ja: Machen wir dies aus innerer Überzeugung heraus, weil es unserem «Markenprogramm» voll und ganz entspricht und unseren Kunden substanziellen Wert stiften kann – oder weil wir opportunistisch auf der Ebene der Markenoberfläche ein paar Sympathiepünktchen und «Likes» einsammeln wollen?

Unternehmerische Entscheidungen sollte man immer für das Geschäft heute und für die Zukunft der Marke zugleich treffen

Jede Entscheidung kann aktuell der Beginn einer neuen Begeisterungswelle oder eines neuen «Shitstorms» sein. Die Markenverantwortlichen sollten bei sich im Hause deshalb gerade jetzt die Markenorientierung in diesem Sinne genauso engagiert und kompromisslos hochfahren wie unser Gesundheitssystem die Kapazitäten auf den Intensivstationen.

Jede Entscheidung ist eine Markenentscheidung

Jede unternehmerische Entscheidung ist eine Markenentscheidung. Sie kann sich wie bei adidas zu einem Markengau hochschaukeln – der über Jahre aufgebautes Vertrauenskapital zerschmettert, Kundenbeziehungen beschädigt und Geschäft vernichtet.

Sie kann aber auch zu einer noch vor Kurzem unvorstellbaren Belebung der Marke führen – wie zu Beginn der Corona-Krise das «bodenständige» Unternehmen Trigema aus Burladingen durch tatkräftiges, entschiedenes Handeln den Markenstrategen von Welt eindrücklich vor Augen führte. Schneller als bei allen anderen wurde hier die Textilproduktion auf die Herstellung der dringend benötigten Schutzmasken umgestellt und der Vertrieb organisiert. Der Umstand, dass man als fasst einziger Produzent noch in Deutschland ansässig ist, hat dabei sicherlich geholfen. «Anders sein» zahlt sich halt aus; manchmal auch völlig unvermittelt. Und die Fähigkeit, situationsgerecht die für das eigene Geschäft und die eigene Marke richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich bin mir ziemlich sicher: Herrn Grupp, Inhaber und Geschäftsführer von Trigema, ging es dabei eher nicht um die Verbesserung irgendwelcher oberflächlichen Image- oder Sympathiewerte.

Fazit

Es ist wichtig, dass dieser erfolgskritische Zusammenhang zwischen unseren täglichen Entscheidungen, unserem Geschäft und unseren Marken von möglichst vielen Mitarbeitenden aus möglichst vielen Abteilungen und Hierarchiestufen eines Unternehmens gesehen wird – und sie das zukünftige Wohl ihrer Marke bei allen kleinen und grossen Entscheidungen als Inspirationsquelle und leitende Norm ernsthaft einfliessen lassen.