Im Markengeschäft geht es um Fokus und Durchsetzung – nicht um Schlagzahl und Sortimentsbreite

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Von Bastian Schneider

Apple hat es gezeigt: Das Markengeschäft kann mit nur wenigen Produkten unglaublich stark, lange und profitabel wachsen – wenn die Produkte richtig gut sind und wenn sie im Markt richtig gut durchgesetzt werden. Hieran sollten jetzt alle Unternehmen denken, die ihr Wachstum vor allem in der Sortimentsbreite suchen.

Achtung Staugefahr im Sortiment

Kein neues Produkt kommt «einfach so» erfolgreich in den Markt. Bei keiner Marke. Damit es ein wirtschaftlich erfolgreiches Produkt wird, muss es im Verkauf erst auf Geschwindigkeit gebracht werden. Es muss sich in den «Verkehrsfluss» des bestehenden Markensortiments einklinken und «hochfahren» – in Bezug auf seinen Distributionsgrad im Handel und seine Abverkaufsquote am POS. 

Wenn das nicht gelingt, wenn das neue Produkt nicht auf Augenhöhe mit den erfolgreichen Produkten gebracht werden kann, dann steht es spätestens am POS den schnelleren Produkten im Weg. Nimmt ihnen jeden Tag die Möglichkeit, von ihren Kunden gesehen und gekauft zu werden – und seiner Marke die Möglichkeit, das Geschäft zu machen.

Je mehr schwache Produkte den Weg in den Markt verstopfen, desto seltener finden die im Abverkauf starken Produkte ihren Weg zum Kunden.

Je mehr schwache Produkte in der Distribution den Weg in den Markt verstopfen, desto seltener finden die im Abverkauf starken, «drehfreudigen» Produkte ihren Weg zum Kunden. Im Straßenverkehr würde man das «zähflüssigen Verkehr auf der Autobahn» nennen. Im Geschäft lässt sich der anhand von Distributionsgrad und Abverkaufsquote messen. Gerade in einem schwierigen oder sogar rückläufigen Marktumfeld sollte die Sortimentsführung dies genau im Blick haben – Wertschöpfung und Wachstum der Marke hängen davon ab.

Insbesondere die Einführung neuer Produkte sollte in diesem Sinne gut vorbereitet und eng begleitet werden. Findet das aus irgend einem Grund nicht statt, werden zum Beispiel in zu kurzer Zeit zu viele neue Produkte mit zu geringem Innovationsgrad lanciert, kann sich der lähmende Effekt auf die Sortimentsdynamik weiter verstärken – und aus dem zähflüssigen Verkehr ein veritabler Stau werden.

Denn bei zu hoher Innovations-Schlagzahl wächst die Gefahr, dass sich zusätzlich auch noch die neuen Produkte in die Quere kommen. Sich gegenseitig die zur Marktdurchsetzung erforderlichen Ressourcen in Vertrieb, werblicher Unterstützung und Produktoptimierung entziehen. Selbst vielversprechende Potenzialträger haben es dann schwer, im Abverkauf hochfahren, sich in der Kundschaft etablieren und ihre Marke inhaltlich weiterbringen zu können.

So sollte das nicht sein. Mehr Fokus, mehr bewusstes Handeln und mehr Laufruhe sind wünschenswert. Gerade in der Rezession. Marketing, Vertrieb, Produktion, HR, IT, … alle Bereich müssen dazu sehr eng zusammenarbeiten. Wenn man die bestehenden Potenziale seiner Marke heben will.

Das Sortiment normativ und dynamisch führen

In Zeiten von Nachfrageschocks, plötzlichen Verengungen in der Distribution, disruptiven Marktverschiebungen und schnellen, technologischen Entwicklungen kommt es mehr denn je auf eine professionelle Sortimentsführung an. Eine Sortimentsführung, welche die systemischen Effekte im Markengeschäft durchschaut und entsprechend handelt.

Vor allem der Ansatz «eklektische Sortimentsinflation» führt in die Irre. Auf das Chaos im Markt sollte man nicht mit noch mehr Chaos im eigenen Geschäftsmodell antworten. Im Gegenteil: Es braucht eine selbstbewusste Sortimentsführung, die intern wie extern Orientierung schafft. Sie sollte normativ sein, im Sinne der Markenpositionierung. Und sie sollte dynamisch sein, im Sinne von substanziellen Innovationsschritten, die ihren Namen auch verdienen und neue Potenzialfelder erschliessen.

In dieser «normativ-dynamischen» Sortimentsführung werden die Ressourcen des Unternehmens bewusst investiert und aufgeteilt, auf:

  • Die Reproduktion der Stärken im aktuellen Geschäft

  • Die Agilisierung der Organisation und ihrer Zusammenarbeit mit ihren Absatz- und Geschäftspartnern und 

  • Die Innovation der Markenzukunft mit neuen Leistungen. 

In allen drei Bereichen braucht es heute bewusste Aktivitäten, um erfolgreich zu sein. Die Kunst liegt darin, die begrenzten Ressourcen eines Unternehmens je nach Geschäftssituation, Strategie und Ambition im richtigen Verhältnis auf das Reproduzieren, Agilisieren und Innovieren aufzuteilen und in Summe maximal wirksam zu machen. Die folgenden 9 Hebelpunkte und ihre Leitfragen helfen bei der individuellen Realisierung in der Praxis.

 
 
 
 

Die Reproduktion der Stärken

01. Freie Fahrt für die Standbeine des Geschäfts

Stellen Sie sicher, dass die in Menge und Marge starken Produkte freie Fahrt geniessen; in allen Bereichen des Unternehmens, von der Produktion über das Marketing bis zum Vertrieb – und auch bei Ihren Absatzpartnern. Haben Sie dabei die Entwicklung von Durchschnittspreis, Distributionsgrad und Abverkaufsquote genau im Blick.

Leitfragen:

  • Mit welchen Produkten generieren Sie heute 80% Ihrer Umsätze und Erträge?

  • Wo liegt der jeweilige Distributionsgrad und wie entwickelt er sich über die Jahre?

  • Zu welchem Grad engagieren sich Ihre Absatzpartner für Ihre starken Produkte? Kennen und erzählen sie «Ihre Story»?

  • Was ist das Wachstumspotenzial, wenn Sie Ihre starken Produkte in allen Kanälen, an allen POS, in bester Platzierung und ausreichender Menge zusammen mit engagierten Partnern durchsetzen?

02. Kernprodukte substanziell weiterentwickeln

Entwickeln Sie die umsatzstarken Produkte substanziell weiter; nah am Bedürfnis und im engen Austausch mit den Kunden, in kleinen Optimierungen und in grösseren Generationsschritten. Suchen Sie nach Verbesserungen, mit denen Sie auch Preiserhöhungen im Handel und bei Ihren Kunden erfolgreich argumentieren können. Und schützen Sie sich davor, Ihre eigenen Produkte selber «für tot zu erklären» – machen Sie es Ihren Wettbewerbern nicht so einfach.

Leitfragen: 

  • Wie entwickelt sich der Durchschnittserlös ihrer starken Produkte über die Jahre?

  • Wann haben Sie das letzte Mal eine Preiserhöhung im Markt durchgesetzt? Was waren die Erfolgsfaktoren?

  • An welchen Produkten und Projekten arbeiten Ihre Leute aktuell? Wie gross ist dabei die «Zuwendung» für die Kernprodukte?

  • Wie können Sie Ihre Ressourcen in der Entwicklung mit mehr Fokus hinter Ihre Stärken bringen?

03. Potenzialträger gezielt fördern

Identifizieren und fördern Sie sehr gezielt und konsequent die wenigen, wirklichen Potenzialträger im Sortiment – manchmal erkennt man sie erst, wenn ihnen die werbliche und die vertriebliche Unterstützung entzogen wird, und sie sich am Markt trotzdem weiterhin positiv entwickeln.

Leitfragen:

  • Welche Ihrer neueren Produkte haben wirklich das Zeug, zu einem richtigen Standbein im Sortiment ausgebaut zu werden?

  • Welche haben konkret etwas vorzuweisen, das für sie spricht: Eine hohe Menge oder eine hohe Marge oder eine Besonderheit, aus der man einfach etwas machen muss?

Die Agilisierung der Organisation

04. Die internen Komplexitätskosten eliminieren

Reduzieren Sie radikal Ihre internen Komplexitätskosten. Trennen Sie sich dazu konsequent von allen Produkten, die sich im Markt nicht flächendeckend durchsetzen lassen, die keine angemessene Drehzahl entwickeln können und Sie weder in Menge noch in Marge überzeugen – es ist jedes Mal eine Befreiung, die in Ihrer Organisation Kräfte für Besseres mobilisiert. Setzen sie auf Fokus statt auf Feuerwerk. Setzen sie auf Durchsetzung statt auf plumpe Sortimentsbreite.

Leitfragen:

  • Welche Ihrer Produkte können Sie weder in Menge noch in Marge überzeugen?

  • Muss Ihr «long tail» wirklich so lang sein?

  • Von welchen Produkten können Sie sich gleich morgen trennen, ohne gross mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen?

05. Die Zusammenarbeit der Wertschöpfungskette verbessern

Übernehmen Sie die Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette Ihrer Marke – auch für die Wertschöpfungsstufen, die durch Partner abgedeckt sind. Geben Sie das «Programm» vor, wie und auf welchem Level gearbeitet werden soll. Verbessern und beschleunigen Sie dabei insbesondere die übergreifende Zusammenarbeit und Wandlungsfähigkeit deutlich. Nur so werden Sie die immer heftiger ausfallenden Marktveränderungen flexibel mitgehen und zu Wachstumschancen machen können. 

Leitfragen:

  • Erfüllen alle Ihre Wertschöpfungs-Partner die Anforderungen Ihrer Marke?

  • Wo arbeiten Ihre Leute heute noch in Silos, nur auf Ansage und im schlafwandlerischen Trott der üblichen Prozesse?

  • Wie kann die offene und agile Kollaboration über alle Bereichs- und Organisationsgrenzen hinweg zu Ihrem «Newnormal» werden?

06. Neue Technologien und Daten nutzen

Nutzen Sie dabei umfassend die Möglichkeiten neuer Technologien und einer besseren Datenbasis, um präziser wissen, sicherer entscheiden und effektiver kollaborieren zu können.

Leitfragen:

  • Was für Daten haben Sie? Werden Sie schlau daraus und können Ihr Geschäft schon mit mehr Intelligenz steuern als früher?

  • Welchen Daten-Piloten können Sie unmittelbar starten, um zeitnah konkrete Lernerfahrungen zu sammeln?

  • Wie können Sie Daten und Programme nutzen, um für ihre Kunden emotionalere Erlebnisse/Momente zu schaffen?

  • Welche Marketingprozesse laufen bei Ihnen bereits digital? Welche sollten und könnten Sie automatisieren?

Die Innovation der Markenzukunft

07. Radikal von der Zukunft her innovieren

Arbeiten Sie ambitioniert und mutig an einem komplett neuen Sortiments-Standbein; denken Sie dabei radikal «von der Zukunft her», gehen Sie mutig aus der Komfortzone Ihrer Organisation raus und nutzen Sie diesen Schritt dazu, um sich persönlich, die Kompetenzen Ihrer Mitarbeitenden und Ihre Marke weiterzubringen. Streben Sie danach, ein neues Produkt zu finden, das in Zukunft ein grosses Kundenbedürfnis erfüllt – bei dem Sie deutliche Differenzierungsmerkmale aufbauen und auch auf Dauer halten können.

Leitfragen:

  • Was wäre für Ihr Geschäft das absolute «Alptraum-Produkt» eines bestehenden oder neuen Wettbewerbers?

  • Warum machen Sie es nicht selbst?

  • Wie können Sie Ihre originären Stärken auf neue Art und Weise in dem neuen Handlungsfeld eindrucksvoll wirksam machen?

08. Das Neue im Unternehmen und im Markt durchsetzen

Führen Sie das neue Produkt mit Fokus, Willen und Durchhaltevermögen in den Markt ein. Sorgen Sie dabei im Unternehmen dafür, dass das neue Produkt trotz noch fehlender Umsatzbedeutung, initialer Rückschläge und eventueller Kannibalisierungseffekte höchste Wertschätzung geniesst und von allen geschätzt und gefördert wird.

Leitfragen:

  • Wie wecken Sie bei Ihren Leuten die Lust auf und den Glauben an eine bessere Markenzukunft?

  • Über welche «Überzeugungsbeweise» verfügen Sie, dass Ihre Marke die besten Tage noch vor sich hat – und nicht schon hinter sich?

09. Ganz oder gar nicht

Führen Sie niemals ein neues Produkt in den Markt ein, an das Sie nicht zu 100% glauben oder das von Anfang an kein Standbein-Potenzial hat – egal wie hoch die Investitionen in die Produktentwicklung auch gewesen sein mögen. 

Leitfragen:

  • Welche Ihrer «Darlings» müssen sie heute töten, um in Zukunft erfolgreich sein zu können?

  • Was haben Sie dabei gelernt, das sie beim nächsten Mal besser machen werden?

Paradigmenwechsel «wanted»

Ein wirtschaftlich starkes Markensortiment besteht aus starken Einzelprodukten:

  1. Stark im Sinne ihres «Fits» mit der Markenpositionierung.

  2. Stark im Sinne ihrer Einzigartigkeit und Relevanz für die Menschen, die sie kaufen.

  3. Und stark im Sinne ihrer umfassenden Durchsetzung im Markt.

Die hier beschriebenen 9 Hebelpunkte einer normativ-dynamischen Sortimentsführung helfen Ihnen dabei, das Sortiment in diesem Sinne wirtschaftlich «wetterfest» zu machen und das Markengeschäft systematisch auf dauerhaft profitables Wachstum auszurichten.

Die ökonomische Kraft einer Marke liegt in ihrer normativen Verdichtung.

Die ökonomische Kraft einer jeden Marke liegt in ihrer normativen Verdichtung. Wenn es gelingt, die «Zentrifugalkräfte» des Marktes zu bändigen und das eigene Geschäft fokussiert und selbstbestimmt, auf Basis der eigenen Stärken, durchzusetzen. Gerade im anspruchsvollen Marktumfeld von heute ist weniger mehr – solange das Wenige maximal Marke ist.