«Neue zeit» in Familienunternehmen | Teil 3 – Paradigmenwechsel

Umstellen im Kopf bei Mitarbeitenden und Führungskräften

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Markenzukunft_New Normal_Paradigmenwechsel
 

Als nächster Agenda-Punkt unserer Aufsichtsratssitzung steht der Paradigmenwechsel an, den wir im Verhalten der Mannschaft und insbesondere unserer Führungskräfte nach Pandemie-Ende vollzogen sehen wollten: «Raus aus dem Krisen-Überlebens-Modus – rein in den Zukunft-Gestalten-Modus.» 

Kernkompetenzen und Innovationen

Es fasziniert mich heute immer noch, wie schnell und konsequent wir im März 2020 in den Notfallmodus umgeschaltet haben. Noch mehr erstaunt mich aber, wie lang und steinig der Weg zurück zu einer Arbeit jenseits des ad-hoc-Krisenmodus ist. Ständig stellen wir fest, dass Routinen, Standards, Regeln und andere Normen nicht mehr sinnvoll bzw. praktikabel sind.

Unsere bewährten Kernkompetenzen haben wir da in den letzten Jahren in unserem im Sommer 2020 gegründeten «Corporate Innovation Lab» ganz genau unter die Lupe genommen. Ich hätte nicht gedacht, dass wir auf diesem Weg – und konsequent aufbauend auf unseren Stärken – schnell zu einer beeindruckenden Anzahl an neuen Geschäftsmodell-Ideen gekommen sind. Einige vielversprechende Ideen wurden bereits konkretisiert und befinden sich in der Pilotphase. Fantastisch zu sehen, wie konstruktiv und selbstverständlich unsere Mitarbeitenden hier z.T. mit unseren Hauptkunden in gemischten Teams über Organisationsgrenzen und Zeitzonen hinweg zusammenarbeiten!

Rituale und Ideen

Unseren Paradigmenwechsel wollten wir auch durch neue, social-distancing konforme Rituale, Routinen und Symbole unterstreichen, die wir Schritt für Schritt in unserer Organisation eingeführt haben. Appelle zu jedem Schichtbeginn in der Fertigung sind dabei immer noch so tabu, wie die meisten Messen, Kongresse und Großevents, auf die wir früher automatisch gegangen wären. Heute beginnt der Tag bei uns mit virtuellen Teamfrühstücks. Und selbst in der Fertigung nutzen jetzt alle unsere Mitarbeitenden bereitwillig ihre privaten Smartphones, um in Kontakt zu bleiben. 

Wir haben eine virtuelle Börse für Verbesserungsideen eingeführt, die allen Mitarbeitenden offen steht. Im virtuellen Ideenraum können Verbesserungsansätze und Gedanken gepostet, besichtigt, erklärt und angereichert werden. Von wegen Post-its als die Zukunft im Innovationsmanagement! Wir waren jetzt schon öfter überrascht davon, wie im virtuellen Raum konstruktiv und produktiv an der Weiterentwicklung der Ideen gearbeitet wird. Insbesondere, dass dabei die Hierarchie eine eher untergeordnete Rolle spielt, gefällt uns. Es zählt die bessere Idee. Egal von wem sie eingebracht worden ist.

Räumliche Distanz und Kundenvertrauen

Besonders schön finde ich es, dass ich immer öfter von anderen Führungskräften und Mitarbeitenden – auch aus anderen Standorten und Ländern – zur virtuellen Kaffeepause eingeladen werde. Hier besprechen wir immer mehr Themen «im Vorbeigehen» wie früher an der Kaffeemaschine.

Noch viel besser müssen wir aber verstehen, wie wir unsere Kundenbeziehungen weitgehend ohne Präsenz vor Ort auf Dauer sichern und entwickeln können. Virtuelle Design Thinking Workshops, virtuelle Begehungen der Fabrik mit dem Kunden, Produkterprobungen zeitgleich bei Kunde und Lieferanten mit virtueller Begleitung sind da nur einige Beispiele für unser Bestreben, hohe Kundennähe trotz hoher räumlicher Distanz aufrecht zu erhalten.

Wir lernen ständig dazu, virtuell Vertrauen aufzubauen und es zu hegen und zu pflegen.

Wir lernen ständig dazu, virtuell Vertrauen aufzubauen und es zu hegen und zu pflegen. Und einen grossen Vorteil der Virtualisierung haben wir auch schätzen gelernt: Ohne Reiseaufwand können Termine viel schneller angesetzt werden; die Teilnehmer sich spürbar besser verfügbar. 

Die Investitionen in die dazu erforderliche Infrastruktur wie auch in die Fähigkeiten unserer Mannschaft erscheinen uns nach wie vor deutlich sinnvoller, als Geschäftsreise-Agenturen und Luftfahrt-Unternehmen wieder gross zu machen. Vor diesem Hintergrund haben wir auch lange und intensiv diskutiert, wie wir mittelfristig mit den betriebswirtschaftlichen Konsequenzen der Krise umgehen wollen. Wir haben uns dabei auch nochmal ganz genau angesehen, ob wir unsere Reise-, Messe- und Veranstaltungsbudgets im Sinne unserer Kundenbeziehung wirklich klug umgeschichtet haben. Fürs Erste lassen wir sie jetzt aber auf «New Normal»-Level und setzen weiterhin auf den Ausbau der digitalen Kommunikations-Möglichkeiten.

Arbeitgeber und Verbesserungen

Etwas frustriert bin ich von der Tatsache, dass wir seit mehr als einem halben Jahr über die Anpassungen unserer Mitarbeiterprozesse diskutieren – und wie schwer wir uns dabei tun, die umfangreichen Verbesserungs-Massnahmen freizugeben und umzusetzen. Dennoch haben wir unsere Arbeitszeit- und Arbeitsort-Modelle in Produktion und Verwaltung in den letzten Jahren wahrscheinlich stärker umgestellt, als in ganzen Jahrzehnten davor. 

Gerade bei der Gewinnung neuer Fach- und Führungskräfte bemerken wir, dass wir als typischer «Hidden Champion» aus der Provinz immer besser darin werden, unseren Standortnachteil gegenüber Metropolregionen zu verringern. Unsere Attraktivität als Arbeitgeber entwickelt sich sehr positiv!

Wie übrigens auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die uns bisher immer schwergefallen ist. Die altbackene Silo-Denke von früher konnten wir endlich hinter uns lassen. Der lange Zeit beschworene Teamgeist scheint jetzt endlich auch im Arbeitsalltag angekommen zu sein. Insbesondere politische Spielchen oder Macht-Kämpfe zwischen einzelnen Abteilungen mussten wir schon länger nicht mehr über uns ergehen lassen.

Führungskultur und Daten 

Dazu hat bestimmt auch die Einführung von «Micro-Feedbacks» beigetragen, die wir schon drei Monate nach Beginn des Corona-Shutdowns zum Abschluss jeder Web-Konferenz oder Telefonkonferenz eingeführt hatten. Die daraus erwachsene Datenbasis nutzen wir seitdem ganz konsequent, um als Führungskräfte unsere Personalgespräche vorzubereiten. Der Entwicklungsschub, den wir hier in den letzten Monaten bei Qualität und Tiefgang in der Führung erzielen konnten, ist beachtlich.  

Dennoch stellt der effektive Einsatz der Beurteilungsdaten und vor allem der empathische Umgang mit der daraus resultierenden Leistungstransparenz aktuell noch eine der grösseren Herausforderungen für unsere Führungskräfte dar. Bis zum Jahresende sollen deshalb auch alle von ihnen ihr individuelles Coaching-Programm absolviert haben.

Aber es geht voran: Zunehmend haben unsere Führungskräfte verinnerlicht, dass sie stets bewusst und bestimmt als aktive Botschafter und Hüter unserer Wertebasis agieren sollen. Immer mehr von ihnen tragen die lebendige Diskussion aus den Kader-Meetings in ihre Teams weiter und sind sehr engagiert darin, ihren Teil zum Wohl des Unternehmens als großes Ganzes beizutragen – und ihre Mitarbeitenden hierzu «anzustiften».

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